Nachbericht:
Muttertag, 8. Mai 2022 – Matriarchatstreffen mit Filmvorführung in Gößweinstein
Matriarchat bedeutet nicht Frauenherrschaft
Auf den Spuren des Matriarchalen
Mit einem besonderen Ereignis feierten auf Einladung des Wallfahrtsmuseums 23 Frauen und vier Männer am 8. Mai Muttertag in Gößweinstein. Ehrengäste waren Uscha Madeisky aus Frankfurt /M. und Dagmar Lilly Margotsdotter aus Hamburg - seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Team, das die matriarchalen Kulturen der Welt besucht und filmisch dokumentiert. Sie zeigten ihren 2014 zusammen mit Daniela Parr in China bei den Mosuo gedrehten Film "Wo die freien Frauen wohnen".
Manch einer der Anwesenden konnte es kaum fassen: Ja, es gibt Kulturen ohne Hierarchien, ohne Machtstrukturen und ohne Krieg - weltweit etwa 200 an der Zahl! Sie leben in dem Bewusstsein, dass das Leben aus der Mutter entsteht und bringen ihr deshalb höchste Achtung entgegen.
"Wie ist es möglich, dass in einem Staat wie China die Mosuo ihre Sonderkultur leben können", wollte ein Teilnehmer wissen. Uscha Madeisky, die für ihr Lebenswerk 2016 mit dem Elisabeth-Selbert-Preis ausgezeichnet wurde, erklärt es mit deren Status als anerkannte Minderheit sowie einer auf sich selbst konzentrierten Haltung, die staatlichen Überformungsversuchen ausweicht oder diese bisweilen sogar durch konzertierten Boykott erfolgreich zurückweist. So verhinderten die Mosuo die Einführung von Motorboten auf ihrem verehrten Lugo-See durch die Blockade mit all ihren Paddelboten.
Die Mütterlichkeit, nämlich das Füreinander-Sorgen, ist in matriarchalen Kulturen für Frauen, wie auch Männer die höchste Tugend. Die liebevolle, herzliche Bindung eines mütterlichen Clans erweist sich als derart tragend und nährend, dass Neid und Eifersucht nahezu unbekannt sind. Sex ist ein eher diskretes Ereignis zwischen Mann und Frau und hat keinerlei gesellschaftliche Relevanz. Der leibliche Vater gehört weiterhin zu seinem Mutterclan, sein Anteil an Betreuung und Erziehung gilt den Kindern seiner Schwestern.
Matriarchale Frauen "bekommen" keine Kinder, sondern geben das Leben weiter. Dem neuen Erdenbürger wird mit einer von Spiritualität getragenen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit begegnet. Das Kind muss nicht erst "etwas werden", um Anerkennung zu erlangen, es ist schon jemand von Geburt an: eine Seele - die Seele eines Ahnen, die mit einer bestimmten Aufgabe wiedergeboren wurde. Dieser grundsätzliche Respekt vor jedem Menschen, gleich welchen Alters, ist mehr, als unser oft durch Trends und Moden bemühter Individualitätsanspruch zu leisten vermag.
Generationenkonflikte, die in patriarchalen, durch Hierarchie und Machtansprüche geprägten Gesellschaften häufig auftreten, sind unbekannt. Jeder kann sich seinem Wesen gemäß entwickeln und wird nicht in Rollen gedrängt, die ihm nicht entsprechen. So genießt der Einzelne große Freiheit bei gleichzeitiger Verbundenheit in Fürsorge und herzlicher Geselligkeit.
Die im Film wiederholte große Fröhlichkeit unter Kindern und Erwachsenen, Frauen und Männern, das Lachen und häufige Singen, spricht für sich. Die mit erstaunlicher Stimmgewalt von Männern und Frauen vorgetragenen Lieder mit oft poetischen Texten zeugen von der Stärke einer traditionellen Erzählkultur.
Fazit des besonderen Muttertagereignisses: Wir tauchten ein in eine andere Welt - faszinierend, inspirierend und zugleich für den ein oder anderen irritierend und unglaublich. Zu wünschen blieb, mehr Zeit zu haben, für einen Gedanken- und Erfahrungsaustausch, mehr Zeit zum Erspüren dieser anderen Lebenswirklichkeit und sie zu vergleichen mit der eigenen. Zeit, die Sehnsucht nach dem Unerfüllten im eigenen Leben zu spüren. "Wo sind die Überreste vom Matriarchat bei uns zu finden", fragt sich eine Teilnehmerin. - Muttertag? Eine andere Teilnehmerin erlebt ihn tags darauf noch einmal in berührender Weise als sie im Nachklang der Tagung Gedankenaustausch mit ihrer Mutter pflegt und sie zusammen das Grab der Großmutter besuchen. Das Miteinander der Generationen und der Menschen - es kann heilen.